Projektjahr 1

Ergebnisse des 1. Projektjahres von MaDe


Ausführliche Ergebnisse zum Download:

Das ISF-Projekt MaDE in Deutschland läuft seit Dezember 2023 und hat das primäre Ziel, die forensische Entomologie als Methode in der kriminalistischen Fallarbeit deutschlandweit zu etablieren und zu professionalisieren. In drei Arbeitspaketen mit einer Laufzeit von jeweils einem Jahr ist besonders die Stärkung und Verbesserung der interdisziplinären Zusammen-arbeit der unterschiedlichen Ermittlungsbehörden (Polizei, Justiz, Rechtsmedizin) im Fokus.

Im ersten Projektjahr vom 01.12.2023 - 30.11.2024 stand die Erhebung des aktuellen Standes der forensischen Entomologie im deutschsprachigen Raum im Mittelpunkt. Zu diesem Zweck wurde eine Online-Umfrage erstellt. Der Fragebogen beinhaltete 31 Fragen zu den Bereichen: Ausbildung, Asservierung, Anwendung der forensischen Entomologie, Tätigkeitsfeld innerhalb der Polizei, Rechtsmedizin und Staatsanwaltschaft inklusive Berufserfahrung und schlussendlich auch zur Soziodemografie. Zusätzlich wurde ein Quiz eingefügt in dem, entomologische Kenntnisse abgefragt wurden. Im besonderen Fokus stand die Frage nach der Anwendung der forensischen Entomologie in der Fallarbeit. Der Fragebogen wurde in Zusammenarbeit mit allen Kooperationspartnern konzipiert und durch diese und auch unabhängige Begutachter getestet und überprüft.

Der Fragebogen war vom 24.05.2024 bis einschließlich 01.10.2024 online verfügbar und wurde in diesem Zeitraum von insgesamt 1189 Personen aus allen Bereichen der Strafverfolgung ausgefüllt. Insgesamt haben Personen aus 4 Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz, Luxemburg) teilgenommen, von denen 96,7 % in Deutschland leben und arbeiten. Hinsichtlich Verteilung der Teilnehmer*innen auf die unter-schiedlichen Berufsgruppen nehmen Personen aus dem Bereich der Polizei mit 87,2 % den größten Anteil ein, nur knapp 7 % aller Teilnehmer*innen sind aus dem Bereich der Rechtsmedizin und knapp 6 % aus dem Bereich der Justiz. In jedem Berufsfeld war zu erkennen, dass sich die Teilnehmer*innen auf die verschiedensten Einsatzfelder verteilten, sodass wir mit der Umfrage die gesamte Bandbreite jeder Disziplin sehr gut abgebildet haben.

Für die Berufsgruppe der Polizei haben zusätzlich zu den 4 großen Bereichen (siehe Abbildungen z.B. Seite 3) Personen aus vielen weiteren Bereichen wie z.B. Erkennungsdienst, Cold-Case, Amtsdelikte, aber auch des Innenministeriums teilgenommen. Auch bei den Teilnehmer*innen der Justiz haben zusätzlich zu den von uns vorgegebenen Berufsfeldern Personen aus den Bereichen Betäubungsmitteldelikte, politische Straftaten, Terrorismusverfolgung und auch aus dem Bereich Wirtschaftskriminalität teilgenommen.

Vergleicht man die Anzahl der Teilnehmer*innen der jeweiligen Bundesländer, so lassen sich deutliche Muster erkennen. Fast 60 % aller Teilnehmer*innen kommen aus Hessen, Nordrhein-Westfalen (NRW) und Baden- Württemberg, wobei NRW mit insgesamt 300 Teilnehmer*innen am stärksten vertreten war. Generell lässt sich auch ein Ost-West Gefälle erkennen: nur knapp 7 % aller Teilnehmer*innen kommen aus einem der östlichen Bundesländer und manche, wie Thüringen, sind nur mit 2 Personen in der Umfrage vertreten.

Dieses Ungleichgewicht bei der Anzahl der Teilnehmer*innen illustriert die momentane Abdeckung von Schulungsmaßnahmen zum Thema forensische Entomologie in der Aus- und Fortbildung der Polizei. In Hessen, NRW und Baden Württemberg finden beispielsweise jeweils jährlich bis zu 3 Seminare statt, in denen sowohl die Grundlagen der forensischen Insektenkunde als auch die fachgerechte Asservierung von Insekten vermittelt werden. Diese Seminare werden durch Prof. Dr. Jens Amendt und Dr. Lena Lutz vom Institut für Rechtsmedizin Frankfurt am Main geleitet und führen offensichtlich nicht nur zu einer höheren Akzeptanz der forensischen Entomologie, sondern auch zu einer höheren Bereitschaft in den jeweiligen Bundesländern, an solch einer Umfrage teilzunehmen.


Für den weiteren Verlauf des Projektes bedeutet das: Schulungsmaßnahmen zum Thema forensische Entomologie müssen in regelmäßigen Abständen und bundesweit angeboten werden. So können mehr Personen erreicht und die Akzeptanz für die forensische Entomologie als Methode gesteigert werden.

Obwohl 96,8 % aller Teilnehmer*innen schon mal etwas von der Verwendung insektenkundlicher Spuren in der Fallarbeit gehört haben, beauftragten nur 9,8 % aller Teilnehmer*innen schon mal ein entomologisches Gutachten bzw. regten eine Beauftragung an. Am häufigsten (76,4%) gaben Personen aus dem Berufsfeld Polizei an, in ihrer Berufslaufbahn bereits ein Gutachten beauftragt zu haben.

Betrachtet man genauer, welcher Bereich der Polizei den größten Anteil ausmacht, so fällt auf, dass Personen aus den sachbearbeitenden Kriminalkommissariaten (z.B. KK 11, KK 1) und dem Bereich der Kriminaltechnik am häufigsten Gutachten beauftragt haben. Teilnehmer*innen aus der Rechtsmedizin waren nur mit einem kleinen Anteil (15,5 %) vertreten und regen somit sehr selten die Analyse entomologischer Spuren in ihrer täglichen Arbeit an. Dieser Umstand könnte zu Problemen bei der Etablierung der forensischen Entomologie in der Fallarbeit führen. Denn die Rechtsmedizin ist eine wichtige Schlüsselstelle bei der Initiierung von Untersuchungsaufträgen bei ungeklärten und nicht-natürlichen Todesfällen. Wenn im Rahmen der Sektion nicht durch die Rechtsmedizin auf die Möglichkeiten einer insektenkundlichen Begutachtung hingewiesen wird, kommt es im schlimmsten Fall gar nicht zu einer Begutachtung der Spuren.

Ein Grund für die geringe Anwendung der forensischen Entomologie in der Fallarbeit kann in der Ausbildung der verschiedenen Berufsgruppen liegen. Weniger als die Hälfte aller Teilnehmer*innen hat in ihrer Ausbildung Informationen zum Thema “forensische Entomologie” erhalten. Wenn es Teil der Ausbildung war, dann lag der Schwerpunkt der Schulungen in erster Linie auf den Anwendungs-möglichkeiten entomologischer Spuren in der Fallarbeit und nur in 48,7 % der Module auf der korrekten Asservierung dieser Spuren.

Somit fehlt in den meisten Ausbildungen ein wichtiges Schlüsselelement für die seriöse Auswertung entomologischer Spuren, nämlich die Asservierung. Da forensische Entomologen nur selten zeitnah in die Spurensicherung am Fundort eingebunden werden, erfolgt die Insekten-asservierung in den meisten Fällen durch Polizei oder Rechtsmedizin. Fehlen hier aufgrund mangelnder Ausbildung die Grundlagen entsprechender Techniken, kommt es zu einer fehlerhaften Erfassung der Insekten, was die Qualität und Aussagekraft der Gutachten stark beeinflussen kann.

Ein weiterer Aspekt, den die Umfrage herausgearbeitet hat, ist die Singularität der Schulungsmaßnahme: Nahezu alle Teilnehmer*innen, die Informationen zum Thema “forensische Entomologie” in ihrer Ausbildung erhielten, bekamen diese Informationen nur ein einziges Mal in ihrer gesamten Berufsausbildung. Es kommt also in allen Bereichen und Berufsfeldern nicht zu regelmäßigen Schulungen. Das muss im Verlauf des Projektes in Angriff genommen werden. Zum einen müssen neben der Fortbildung erfahrener Ermittler auch Kriminal-techniker und Rechtsmediziner geschult werden. Darüber hinaus sollte auch die Grundausbildung der Polizeischüler dahingehend angepasst werden, dass die forensische Entomologie unabhängig von der späteren Spezialisierung auch bereits zu Beginn der Ausbildung gelehrt wird.

Die richtige Spurensicherung ist ein wichtiger Schritt in jedem Kriminalfall. Dies gilt auch für entomologische Spuren. Der Goldstandard sieht die Asservierung am Fundort und während der Sektion vor. Die Insekten sollen im optimalen Fall lebend asserviert werden und erst im weiteren Verlauf der Proben-verarbeitung durch die Gutachter*innen abgetötet werden. Die optimale Asservierung wird dabei durch das Abtöten der Maden mit heißem Wasser und einer anschließenden Lagerung in Ethanol erreicht. Lebende Proben sollen am besten nach der Asservierung bis zum Transport zu einem Experten kühl gelagert werden. Dieses Vorgehen sichert eine optimale Qualität der Proben. Aus der Umfrage geht ganz deutlich hervor, dass es kein einheitliches Vorgehen bei der Asservierung entomologischer Spuren gibt. Über 50 % der Teilnehmer*innen haben die Insekten direkt abgetötet und nur 18,2 % haben die Insekten lebend asserviert.

Die abgetöteten Spuren wurden dann in den meisten Fällen (49,2 %) in Ethanol gelagert. Diese Flüssigkeit ist das optimale Medium und sollte immer als Standardflüssigkeit Verwendung finden, wohingegen Formalin auf keinen Fall benutzt werden sollte. Trotzdem gaben 5,4 % der Befragten an, diese Flüssigkeit zu verwenden. Auffallend ist, dass ein sehr hoher Anteil (27,3 %) nicht wusste, wie die Proben genommen und gelagert werden sollen. Es herrscht offensichtlich eine große Unsicherheit bezüglich der adäquaten Asservierung entomologischer Spuren. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Sicherung lebender Insekten. Lebende Insekten werden am besten kühl gelagert. Dies führt dazu, dass der Stoffwechsel der Tiere verlangsamt abläuft und keine nennenswerte Weiterentwicklung stattfindet. Nur 26,3 % der Teilnehmer*innen gaben an, die lebenden Insekten kühl gelagert zu haben. Fast 20 % bewahrten die Insekten bei Raumtemperatur auf. Dieses Vorgehen kann zu großen Problemen bei der Begutachtung der entomologischen Spuren führen: Wenn die Insekten nicht kühl gelagert werden, können sie sich unter nicht dokumentierten Temperaturbedingungen weiterentwickeln oder im schlimmsten Fall absterben. Sie haben gegebenenfalls nicht mehr die gleiche Größe wie zum Zeitpunkt der Asservierung, was wiederum zu einer fehlerhaften Schätzung des Alters der Insekten und damit auch zu einer fehlerhaften Bestimmung der Liegezeit führen kann. Ein Grund für die große Unsicherheit bei der Asservierung entomologischer Spuren ist das Fehlen einheitlicher Richtlinien. Nur 21,8 % aller Teilnehmer*innen geben an, dass es eine detaillierte Anleitung in ihrer Abteilung gibt.
Lediglich in der Rechtsmedizin sagen 45,9 %, dass es solch eine Anleitung gibt.

Ziel der Umfrage war in erster Linie, eine Bestandsaufnahme der forensischen Entomologie im deutschsprachigen Raum durchzuführen und Ansatzpunkte für die weitere Projektarbeit zu finden. Durch die hohe Anzahl von Teilnehmer*innen aus den unterschiedlichen Bereichen der Strafverfolgung ist es uns gelungen, ein repräsentatives Bild der Anwendung insektenkundlicher Spuren in der Fallarbeit zu erstellen. Es wird deutlich: Wir stehen erst am Anfang, die forensische Entomologie ist noch lange keine Standardmethode auf Bundesebene!

Das bedeutet aber auch, dass das Projekt “MaDE in Deutschland” zum richtigen Zeitpunkt gestartet wurde. So können wir im weiteren Verlauf vor allem die Wissenslücken schließen, die derzeit noch insbesondere im Bereich der Spurensicherung sowie in der Ausbildung bestehen. Obwohl es immer noch sehr viele Probleme gibt, erkennen wir schon jetzt eine größere Akzeptanz und ein gesteigertes Interesse, die forensische Entomologie als Methode zu etablieren und zu professionalisieren, und das in allen Bereichen der Strafverfolgung.

70-80 % aller Teilnehmer*innen geben an, dass Insekten häufiger in Kriminalfällen asserviert und analysiert werden sollten. Das freut uns sehr, denn nur gemeinsam, in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Disziplinen, können wir ein solches Projekt realisieren und nachhaltig etwas verändern.


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